Pferdedecken: jetzt eindecken oder nicht?

Pferdedecken: jetzt eindecken oder nicht?

Sobald der Sommer sich dem Ende entgegen neigt, die Tage kürzer und die Temperaturen niedriger werden, sieht man zunehmend mehr Pferde, die eingedeckt werden. Spätestens dann, wenn die Wettervorhersage den ersten Frost ankündigt und die ersten Schneeflocken vom Himmel fallen, werden auch standhafte Deckenverweigerer unter den Pferdebesitzern nachdenklich. Doch was ist das Beste für das Pferd? Eindecken oder nicht? Wir haben verschiedene Experten dazu befragt.

Wer im Herbst oder Winter zu seinem Pferd geht, muss sich immer mehr anziehen, um nicht selber zu frieren. Da kann der Gedanke naheliegen, auch dem geliebten Partner Pferd etwas Gutes zu tun, indem man es mit einer Decke vor Witterungseinflüssen und niedrigen Temperaturen schützt. Aber ist „warme Kleidung“, die für uns Menschen überlebenswichtig ist, für Pferde überhaupt gut?
Wir haben dazu neben Tanja Romanazzi, die unter www.offenstallkonzepte.de über ihre Forschungen und Erfahrungen auf dem Gebiet der naturnahen Offenstallhaltung publiziert, auch die VFD und die FN als große Pferde-Verbände gefragt. Christine Garbers, 2. Vorsitzende des VFD-Bundesverbands, hat unsere Fragen beantworten. Dr. Michael Duee von der FN ist leider nicht auf alle Fragen eingegangen, hat aber einen längeren Artikel geschickt, den wir in unseren Text haben einfließen lassen. Die tiermedizinische Sichtweise aufgezeigt haben die Fachtierärztin für Pferde Dr. Katja Roscher von der Klinik für Pferde - Innere Medizin, Klinikum Veterinärmedizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Frau Dr. Judith Winter, die an der Freien Universität von Berlin in der Abteilung für Innere Medizin des Pferde an der Klinik für Pferde, allgemeine Chirurgie und Radiologie forscht und arbeitet. Auch Katharina Claudi von der Laufstall Arbeitsgemeinschaft LAG e.V., einem Verein, der sich für die Verbesserung der Haltungsbedingungen von Pferden einsetzt und Dr. Barbara Rauch von der renommierten Kölner Pferde Akademie KPA haben sich mit unseren Fragen befasst.

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Was empfehlen Sie Pferdehaltern? Pferde eindecken oder nicht und warum?

Tanja Romanazzi (Offenstallkonzepte): In Normalfall ist meine Empfehlung ganz klar: nicht eindecken. Pferde haben eine ausgesprochen hohe Fähigkeit zur Thermoregulation, d.h. sie können sich wunderbar auf wechselnde Temperaturen einstellen. Decken behindern diese Fähigkeit und begrenzen zudem die Beweglichkeit. Natürlich finden auch die Pferde die ersten kalten Tage ungemütlich. Aber wenn man ihnen die Chance gibt, dann stellen sie sich darauf ein, produzieren entsprechendes Winterfell etc. Meine eigenen Pferde sind alle nicht eingedeckt.

Christine Garbers (VFD): Wie so oft im Leben, gibt es auch hier keine allgemeingültige Regel. Gesunder Menschenverstand und Fachwissen erspart dem geliebten Partner Pferd jedoch manch unschöne Situation. Generell sollte der Pferdebesitzer immer nach der aktuellen Situation entscheiden. Ein permanentes Eindecken ist bei den wenigsten Pferden geraten. Auf sehr empfindliche Pferde mit von Natur aus dünnem Fell ohne schützende Unterwolle muss besonderes Augenmerk gelegt werden. Aber generell gilt: Das menschliche Kälteempfinden ist ein ganz anderes als das unserer Pferde und sollte nicht übertragen werden!

 

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Wer sein Pferd – auch nur vorübergehend – eindecken muss, sollte das Pferd sehr genau im Auge behalten und auf Änderungen entsprechend reagieren. Am besten ist es aber, wenn die Haltungs- und Nutzungsbedingungen eine Decke überflüssig machen. Dann ist man auf dem richtigen Weg.

Christine Garbers (VFD)

 

Dr. Michael Duee (FN): Das Pferd gehört zu den Säugetieren, die als Nebenprodukt des Metabolismus ständig Wärme produzieren. Um den Wärmeverlust während der kalten Jahreszeiten zu kontrollieren, ist das Pferd von Natur aus mit äußerst effektiven anatomischen, physiologischen und verhaltensspezifischen Thermoregulationsmechanismen ausgestattet.
Das Fell beziehungsweise die Haare, als sogenannte Anhangsorgane der Haut, haben für die Thermoregulation eine wesentliche Bedeutung.
Neben dem sogenannten Photoperiodismus (periodischer Wechsel der Tageslichtlängen) hat auch die Außentemperatur einen Einfluss auf das Fellwachstum. Kältere Klimata verursachen ein Wachstum von dickerem und längerem Haar, als es in wärmeren Klimata der Fall wäre, wenn man Pferde der gleichen Rasse mit gleichem Körperbau und bei gleicher Fütterung vergleicht.
Zudem kann das Pferd die isolierenden Eigenschaften seines Fells auch noch durch die sogenannte Piloerektion, d.h. durch Aufstellen, Drehen oder Anlegen der Haare durch Haarmuskeln, beeinflussen. Die Felldichte kann dadurch um 10-30 % erhöht werden. Durch diesen Mechanismus variiert das Pferd die Isolationsschicht und damit den Luftstrom, der zur Hautoberfläche geleitet wird. Die haaraufrichtenden Muskeln müssen jedoch, wie jeder andere Muskel auch, regelmäßig trainiert werden, um effektiv zu funktionieren.
Durch eine Talgschicht mit der die Körperhaare des Pferdes bedeckt sind, erhält das Fell zusätzlich einen wasserabweisenden Effekt. Durch regelmäßiges Putzen (u./o. Waschen, insbesondere durch übermäßig häufig verwendete Shampoos) wird die Talgschicht „ausgebürstet“ und der wasserabweisende Effekt geht, je nach Intensität des Putzens sowie in Abhängigkeit von der Haltungsform, z. T. oder ganz verloren.
Neben dem Fell spielt auch der Anteil an Körperfett des Pferdes eine wichtige Rolle bei der Thermoregulation. Körperfett ist nicht nur eine Energiereserve, sondern darüber hinaus auch, aufgrund seiner geringen Wärmeleitungsfähigkeit und der geringen Blutversorgung, eine gute Isolierung.

In den „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten“ vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft heißt es, dass „das Eindecken zur Verhinderung des Fellwachstums sowie das Scheren des Fells an den Notwendigkeiten orientiert werden muss, um die physiologische Funktion des Haarkleides nicht unnötig zu beeinträchtigen.“
Eine geforderte Notwendigkeit, stellt beispielsweise eine intensive sportliche Nutzung des Pferdes im Winter dar.
 

Dr. Katja Roscher (Justus-Liebig-Universität Gießen): Hierzu kann keine grundsätzliche Empfehlung gegeben werden, es hängt immer von den äußeren Gegebenheiten (z.B. Wetter) und den individuellen Eigenschaften des Pferdes ab.
 

Katharina Claudi (LAG e.V.): Pferde besitzen eine sehr gute Thermoregulation, die es ihnen ermöglicht, ohne Decke jedem Wetter zu trotzen. Voraussetzung ist, dass sie sich bei Bedarf zeitweise selbstständig in einem trockenen Unterstand unterstellen können. Durch das Eindecken wird die natürliche Thermoregulation nachteilig beeinflusst. Das Pferd ist nicht in der Lage, partielle Körperpartien zu wärmen. Durch das Eindecken bleiben Hals, Kopf und Gliedmaßen häufig frei, hier besteht die Gefahr, dass diese Körperstellen unterkühlen oder der Körper unter der Decke überhitzt. In Ausnahmefällen kann es bei sehr alten oder kranken Pferden sinnvoll sein, diese zeitweilig einzudecken. Empfehlenswerter wäre jedoch dafür zu sorgen, dass sie sich selbstständig unterstellen können und ausreichend Reserven besitzen, mit den verschiedenen Klimata zurecht zu kommen. Man sollte zudem nicht vernachlässigen, dass das Eindecken das arteigene Verhalten nachteilig beeinflussen kann (z.B. bei der gegenseitigen Fellpflege).
 

Dr. Barbara Rauch (KPA): Grundsätzlich brauchen Pferde keine Decke, sondern haben einen Thermoregulationsmechanismus, der es ihnen ermöglicht, auch bei Kälte, Wind und Wetter bestens zurechtzukommen (langes Fell, evtl. Fettschicht, Haare aufstellen, Blutgefäße verengen). Damit er im Zusammenhang mit allen anderen Körperfunktionen dauerhaft funktioniert, muss er kontinuierlich trainiert werden.

SiriIm Winter bilden Pferde bei richtiger Haltung ein Winterfell aus und sind so bestens für die kalte und nasse Jahreszeit gerüstet.

 

Es ist nicht nur so, dass Pferde Kälte aushalten, sondern sie brauchen dieses Training für ihre Gesunderhaltung. In den Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen steht: Um die physiologische Funktion des Haarkleides nicht unnötig zu beeinträchtigen, sollen das Eindecken zur Verhinderung des Fellwachstums sowie das Scheren des Fells an den Notwendigkeiten orientiert werden. Was also sieht der einzelne Pferdebesitzer als notwendig an? Wir Menschen sind verweichlicht, unsportlich, übergewichtig, haben Allergien, Depressionen und Burnout, Tendenz ansteigend. Das Pferd ist der Spiegel des Menschen – brauch ich noch viel sagen? Dazu kommt, dass Pferde eine viel niedrigere Wohlfühltemperatur haben und darauf eingestellt sind, dass es nachts bis zu 40° kälter ist als tagsüber. Wenn ich im Winter durch den Park gehe, bin ich auch immer froh, dass ich keine Ente bin, die auf dem Eiswasser schwimmen muss. Aber es würde doch jeder tierschutzwidrig finden, die Enten herauszuholen und ihnen einen Wärmeschutz überzuziehen. Ich höre das Argument: aber sobald wir unsere Pferde reiten, ist die Notwendigkeit da, denn sie schwitzen mit langem Fell, trocknen nicht und erkälten sich dann. Das wird meist unreflektiert weitergesagt und gilt für den nächsten als Fakt.
 

Dr. Judith Winter (Freie Universität Berlin): Grundsätzlich verfügen Pferde über eine sehr gute Thermoregulation und können Temperaturen von bis zu minus 15 Grad ohne Probleme wegstecken. Ein Pferd mit normalem Winterfell erhöht seinen Stoffwechsel erst ab minus 10 Grad. Die Wohlfühltemperatur der Pferde liegt mit 5 Grad deutlich unter der des Menschen. Ein gesundes Pferd benötigt folglich keine Decke, nur einen trockenen Unterstand.